OGH 25.6.2016, 9 ObA 117/15v

Keine Diskriminierung, wenn der Dienstgeber die Kündigung ausspricht,  weil die Dienstnehmerin Gesichtsschleier (Niqab) tragen will.

1.) Sachverhalt:

Die zum Islam konvertierten Dienstnehmerin ersuchte den beklagten Dienstgeber, auch während der Arbeit das islamische Kopftuch tragen zu dürfen. Es war für sie beschämend und stellte ein Identitätsproblem dar, bei ihrer Arbeit das Kopftuch abnehmen zu müssen. Der Beklagte lehnte das Tragen des islamischen Kopftuchs im Notariat zunächst ab. Es ging ihm dabei nicht um den Islam, sondern um das äußere Erscheinungsbild der Klägerin. Für ihn war das Tragen des Kopftuchs mit der notariellen Tätigkeit nicht vereinbar; er befürchtete, Klienten zu verlieren. Er verlangte von allen seinen Mitarbeitern ein dezentes, neutrales Auftreten, um seine Neutralität und Objektivität als Notar zu unterstreichen und das Vertrauen der Bevölkerung in seinen Berufsstand zu wahren. Später trug die Klägerin auch die Abaya (islamisches Übergewand) während der gesamten Arbeitszeit. Letztlich verlangte die Klägerin (im Krankenstand), den Niqab (Gesichtsschleier) am Arbeitsplatz tragen zu dürfen, was der Dienstgeber schriftlich ablehnte: „Liebe Frau [Klägerin], In der Vergangenheit habe ich Sie in Ihren Bedürfnissen familiärer, finanzieller und religiöser Art in jeder erdenklichen Weise unterstützt, auch durch das Dauerexperiment ethnischer Kleidung. Mit dem Kopftuch können Sie Ihren religiösen Pflichten nachkommen. Das Tragen eines Gesichtsschleiers ist mit Ihrer Beschäftigung in der Notariatskanzlei aber nicht vereinbar.“ Da die Klägerin den Gesichtsschleier tragen zu wollen, sprach die Beklagte die Kündigung aus. Die Klägerin machte €7.000,– wegen Diskriminierung (Geschlecht, Religionsausübung) geltend.

 

2.) Entscheidungsbegründung:

Kein immaterieller Schadenersatz (keine Diskriminierung) wegen Kündigung einer (Notariats-)Angestellten wegen Nichtbefolgung der Anweisung, islamischen Gesichtsschleier (Niqab) bei der Arbeit zu tragen, weil „ein unverhülltes Gesicht zu den Grundregeln zwischenmenschlicher Kommunikation zählt“ (ein Vorbringen, schon bei Tragen des islamischen Kopftuches [Abaya] bei den sonstigen Arbeitsbedingungen diskriminiert worden zu sein, hat die Klägerin nicht erstattet).

„Als Kernaussage ist jedenfalls zu entnehmen, dass ein Gesichtsschleier überall dort verboten werden kann, wo es um Interaktion geht“.

Die Bezeichnung „Dauerexperiment ethnischer Kleidung“ und „Vermummung“ ist diskriminierende Herabwürdigung (§ 17 Abs 1 Z 6 GlBG, § 26 Abs 6 GlBG), Höhe: € 1.200,–.

Ein OGH-Sprecher weist darauf hin, dass es keine gesetzliche Bestimmung gibt, die das Tragen von Kopftüchern regle. Somit sei es weder grundsätzlich verboten, noch grundsätzlich zulässig, sondern stets eine Frage des Einzelfalls.

Dr. Guido Bach > Rechstanwalt für Arbeitsrecht in Wien